wenn das Lebenswerk ins Wanken gerätÜbergabezeitpunkt verpasst und Kontrolle verloren

Autor: Veit Velten

Über Jahrzehnte hinweg bauen viele Unternehmer ihr Unternehmen mit Herzblut auf. Sie investieren nicht nur Kapital, sondern vor allem Energie, Leidenschaft und Persönlichkeit. Sie verzichten auf Urlaube, gehen Risiken ein, treffen unpopuläre Entscheidungen. Aus dieser Mischung entsteht etwas, das weit mehr ist als ein Geschäft: ein Lebenswerk, ein „Baby“, ein Teil der eigenen Identität.

Genau das macht die Stärke des Mittelstands aus – aber auch seine größte Schwäche. Denn irgendwann kommt der Moment, an dem Loslassen nötig wird. Und genau dann zeigt sich: Viele warten zu lange.

Der verständliche Wunsch – und seine Tücken

Für viele Eigentümer ist es selbstverständlich, dass das Lebenswerk auch über die eigene Lebensspanne hinaus Bestand haben soll. Häufig steht die Familie im Mittelpunkt: Kinder oder Enkel sollen profitieren, mindestens aber durch einen Verkaufserlös. Der Wunsch ist verständlich – niemand möchte am Ende seines Lebens feststellen, dass alles umsonst war.

Doch genau hier lauert ein gefährlicher Trugschluss. Denn die emotionale Bindung an das eigene Unternehmen führt fast zwangsläufig zu einer Überschätzung des Werts. Was für den Gründer das Resultat jahrzehntelanger Mühen ist, sieht ein Käufer mit völlig anderen Augen: nüchtern, zahlengetrieben, zukunftsorientiert.

Wenn dann die Kennzahlen nicht mehr glänzen – weil Investitionen verschoben wurden, weil die Dynamik nachgelassen hat oder weil das Unternehmen zu sehr auf den alten Eigentümer zugeschnitten ist – wird die Lücke zwischen Wunsch und Realität dramatisch groß. Der geforderte Kaufpreis wirkt überzogen, Interessenten springen ab, und mit jedem Jahr sinkt die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Übergang.

Die Folge: Statt einem werthaltigen Verkauf beginnt eine Abwärtsspirale. Das Unternehmen verliert an Attraktivität, die Mitarbeiter spüren Unsicherheit, Banken stellen Fragen. Am Ende bleibt nicht selten nur ein Bruchteil dessen übrig, was man sich erhofft hatte – wenn überhaupt.

Die unterschätzten Risiken

Die Fakten sind eindeutig und ernüchternd:

  • Laut einer Untersuchung von KfW Research steht in den kommenden Jahren in Deutschland jedes fünfte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zur Übergabe an – das sind mehrere Hunderttausend Betriebe.
  • Eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn zeigt: Rund 40–50 % der Übergaben scheitern, weil es keine rechtzeitige Nachfolgeregelung gibt.
  • Experten wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) berichten regelmäßig, dass der Unternehmenswert im Verkaufsfall innerhalb weniger Jahre um bis zu 30–50 % sinken kann, wenn die Übergabe zu spät eingeleitet wird.

Hinzu kommt ein Aspekt, der selten offen angesprochen wird: die psychologische Komponente. Banken, Mitarbeiter und Geschäftspartner beobachten sehr genau, ob ein Unternehmen zukunftsfähig aufgestellt ist. Wenn klar wird, dass der „alte Chef“ nicht mehr die Kraft oder den Weitblick hat, die Firma durch die nächsten Jahre zu führen, schwindet das Vertrauen. Und Vertrauen ist – ökonomisch betrachtet – bares Geld.

Die menschliche Dimension

Auf der anderen Seite steht die emotionale Realität:

  • Die Angst vor dem Bedeutungsverlust.
  • Die Sorge, nicht mehr gebraucht zu werden.
  • Die leise, aber drängende Frage: „Wer bin ich, wenn ich nicht mehr Unternehmer bin?“

Diese Gefühle sind real. Sie erklären, warum viele Gründer und Inhaber zu spät handeln. Doch genau dadurch setzen sie ihr Lebenswerk aufs Spiel. Nicht selten bleibt der Familie dann nicht der erhoffte Verkaufserlös, sondern Streit über eine verpasste Chance – und ein Unternehmen, das im Wert dramatisch gesunken ist.

Ich erinnere mich an eine Beratungssituation mit einem mittelständischen Maschinenbauer: Der Gründer, inzwischen über 80 (!), war körperlich nicht mehr fit, traf aber weiterhin jede Entscheidung. Sein Sohn hatte längst keine Lust mehr auf das Unternehmen, Mitarbeiter orientierten sich um. Als der Gründer dann ernsthaft erkrankte, musste die Firma in aller Eile verkauft werden. Der erzielte Preis lag weit unter dessen, was noch fünf Jahre zuvor realistisch gewesen wäre. Für die Familie war es ein Schock – und für den Gründer persönlich ein schmerzhafter Bruch mit dem, was er für sein Lebenswerk hielt.

früher als gedachtDer richtige Zeitpunkt

Nachfolge ist kein Ereignis, sondern ein Prozess. Sie braucht Zeit, Planung und die Bereitschaft, Verantwortung schrittweise abzugeben. Dazu gehört auch, den Unternehmenswert realistisch einzuschätzen – nicht mit den Augen des stolzen Eigentümers, sondern aus Sicht eines nüchternen Käufers.

Wer frühzeitig Verantwortung teilt, Nachfolger aufbaut und den Übergang klar kommuniziert, schafft Sicherheit:

  • Mitarbeiter bleiben loyal, weil sie an die Zukunft des Unternehmens glauben.
  • Banken und Investoren sehen Kontinuität und Stabilität.
  • Käufer erkennen ein gut vorbereitetes Unternehmen, das nicht vom Gründer allein abhängt.

Loslassen bedeutet also nicht, das eigene Lebenswerk aufzugeben. Im Gegenteil: Es ist der beste Weg, um sicherzustellen, dass es weiterlebt. Wer die Übergabe rechtzeitig plant, bleibt nicht nur in guter Erinnerung, sondern schützt auch die eigene Familie – vor Streit, enttäuschten Erwartungen und finanziellen Verlusten.

HandlungstippsSo bereiten Sie die Übergabe rechtzeitig vor

Nachfolgeplanung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Je früher Sie starten, desto mehr Optionen haben Sie.

Lassen Sie Ihr Unternehmen von unabhängigen Experten bewerten. Trennen Sie persönliche Emotionen von objektiven Marktwerten.

Klären Sie, ob die Familie übernehmen möchte – und ob sie es auch kann. Falls nicht: rechtzeitig externe Kandidaten oder Käufer identifizieren.

Prüfen Sie ehrlich: Wie abhängig ist das Unternehmen von Ihnen persönlich? Bauen Sie ein Management-Team auf, das auch ohne Sie funktioniert.

Veraltete Maschinen, verschobene Digitalisierungsprojekte oder fehlende Innovationen drücken den Wert massiv. Investieren Sie in Zukunftsfähigkeit.

Mitarbeiter, Kunden und Banken merken Unsicherheit sofort. Signalisieren Sie frühzeitig, dass das Unternehmen eine klare Zukunftsperspektive hat.

Interim Manager, Rechtsanwälte, Steuerberater oder M&A-Berater Interim Manager können Fallstricke vermeiden helfen und familiäre Konflikte entschärfen.

Überlegen Sie rechtzeitig: Was kommt für mich nach der Übergabe? Wer für sich persönlich ein Ziel definiert, kann leichter loslassen.

Wie Interim Manager den Übergabeprozess unterstützen können

Gerade in der sensiblen Phase vor, während und nach einer Übergabe sind Interim Manager eine wertvolle Unterstützung:

  • Verkaufswert steigern: Durch die kurzfristige Optimierung von Prozessen, Strukturen und Kennzahlen kann das Unternehmen deutlich attraktiver für Käufer werden. Ein klar dokumentiertes, professionell geführtes Unternehmen erzielt am Markt bessere Preise.
  • Brücke zum Käufer bauen: Interim Manager lernen die Unternehmensstrukturen schnell kennen, können Nachfolger oder Käufer in die Abläufe einarbeiten und so einen reibungslosen Übergang sicherstellen.
  • Vakanzüberbrückung: Fällt der Altunternehmer plötzlich krankheitsbedingt aus, kann ein Interim Manager sofort Verantwortung übernehmen und die Handlungsfähigkeit sichern – ein entscheidender Faktor, um Vertrauen bei Mitarbeitern, Banken und Kunden zu erhalten.
  • Neutralität und Moderation: Als externer Sparringspartner können Interim Manager familiäre Konflikte entschärfen, unterschiedliche Interessen ausbalancieren und den Prozess in geordnete Bahnen lenken.

So wird die Nachfolge nicht zum Risiko, sondern zur Chance: für eine geordnete Übergabe, einen stabilen Verkauf und ein Unternehmen, das in guten Händen weiterwächst.

Ein Appell an Unternehmer

Die entscheidende Frage lautet: Wollen Sie als Gründer in Erinnerung bleiben als derjenige, der alles kontrollierte, bis nichts mehr übrig war – oder als derjenige, der rechtzeitig losließ und damit das Beste aus seinem Lebenswerk machte?

Die Übergabe zu verschieben, mag kurzfristig einfacher sein. Doch am Ende zahlt man dafür den höchsten Preis: mit sinkendem Unternehmenswert, verunsicherten Mitarbeitern und enttäuschter Familie.

Wer dagegen früh handelt, zeigt wahre Größe. Er sichert das Lebenswerk, schafft Perspektiven für die nächste Generation – und gewinnt selbst etwas, das unbezahlbar ist: die Gewissheit, dass sein „Baby“ in guten Händen weiterwächst.

👉 Mein Appell: Reden Sie rechtzeitig über Nachfolge. Lassen Sie sich professionell begleiten. Und nehmen Sie den Mut, loszulassen – nicht irgendwann, sondern heute. Denn jedes Jahr, das Sie warten, kann den Wert Ihres Lebenswerks halbieren

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Veit Velten

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